Biografie

 
Der Maler und Grafiker Willy Colberg

 

Willy Colberg, 1906 in Hamburg geboren und 1986 dort gestorben, ist keineswegs ein ausschließlich und typisch Hamburger Maler, sein Lebenslauf und sein künstlerisches Werk entfernen sich über lange Zeit von seiner Heimatstadt.

Willy Colberg, 1962

Willy Colberg, 1962

17-jährig erlebte er, ohne selbst beteiligt zu sein, in seinem Hamburger Stadtbezirk Barmbek den kommunistischen „Hamburger Aufstand“, den sein sozialdemokratischer Vater missbilligte.

Der Vater Hermann Colberg hat als Maurer ab 1912 am Erweiterungsbau der Hamburger Kunsthalle gearbeitet. Der Sohn Willy sah später in der Hamburger Kunsthalle eine Max Liebermann-Ausstellung, die ihn faszinierte und Ausgangspunkt für seine eigene künstlerische Entwicklung war, für seinen Entschluss, von nun an zu zeichnen.

Er hatte bei der Firma Mello an der Alster Schiffszimmermann gelernt und arbeitete auf einer kleinen Werft. Er besuchte Ausstellungen bildender Kunst, las Biografien großer Maler, bis er arbeitslos wurde und in der Krisenzeit arbeitsuchend auf die Walz ging, mit Handwerkszeug, Gitarre und Skizzenbuch. Bis an den Bodensee lief er. In Karlsruhe besuchte er das Abendaktzeichnen bei Prof. Böhm, der ihm anbot, ein Semester bei ihm an der Akademie zu studieren. 1926 wechselte er zum Studium an die Landeskunstschule in Hamburg Lerchenfeld, wo er eine Freistelle der Hansestadt bekam und bis 1930 acht Semester bei Prof. Willi Tietze freie Grafik studierte, bei Willy Habl und Willy von Beckerath Malerei und Aktzeichnen. „Dieses Zeichnen mit hartem Bleistift auf glattem Papier war eine gute Methode, die keine oberflächlichen Effekte zuließ und das Gefühl für Formen und Maßverhältnisse bei der Gestaltung der Natur zur Kunst entwickelte.“ (aus: W. Colberg. Bildende Kunst 4/1955, Mein Weg zur Kunst). Auch nach dem Studium arbeitete er als Handwerker, zeichnete und malte.

Er war Mitglied der Naturfreunde und der sozialdemokratischen Arbeiterjugend. 1933 war seine Wohnung von der Gestapo durchsucht und er verhört worden. Er wollte und konnte nicht mehr in Deutschland bleiben und verließ das Land Anfang 1934 mit einem Visum, das er in Kiel noch für einen vierwöchigen Studienaufenthalt in Italien bekam. Mit diesem Visum verbrachte er mehr als fünf Jahre im Ausland; Italien, Griechenland, Zypern, wo er zeichnete und malte und immer wieder als Handwerker arbeitete, auch gelegentlich Olivenbäume pflanzte.4. Jaffa, Skizze, 1936

Er reiste weiter nach Syrien und dann für längere Zeit nach Haifa in Palästina, wo er bald eine kleine Bootswerft leiten konnte, mit einheimischen Bootsbauern Erfahrungen und Verfahrensweisen austauschte und junge Handwerker, Juden und Araber, ausbildete. Während dieser Zeit zeichnete und malte er.

Deutschland hatte 1936 bereits Guernica bombardiert und hegte offensichtliche Kriegspläne. Palästina war Mandatsgebiet der Engländer, die begonnen hatten, alle Deutschen zu internieren, die  in grosser Zahl aus Deutschland nach Palästina flüchteten. Colberg entzog sich der Internierung, indem er mit einem Segelboot nach Port Said in Nordägypten flüchtete, wo er jedoch als Deutscher  ohne gültigen Pass und Visum auch von der englischen Militärpolizei verhaftet und auf ein deutsches Frachtschiff abgeschoben wurde. Sein Plan, nach Südafrika weiter zu segeln, war gescheitert.

Er hatte alles in Haifa zurücklassen müssen, vor allem seine Bilder und Zeichnungen der Jahre im Orient, die seitdem verschollen sind. Nur sein Geld hatte er mitnehmen können, und so durfte er sich dank der Entscheidung des Kapitäns auf dem deutschen Schiff eine Fahrkarte kaufen und als Passagier reisen, obwohl er nach deutschem Gesetz hätte interniert und in Deutschland ausgeliefert werden müssen.

Nur wenige kleine Zeichnungen hatte er seinen Eltern nach Hamburg schicken können (Abb. Jaffa 1937). Ein Aquarell allerdings, in Palästina entstanden, tauchte überraschend bei einer Wohnungsauflösung in Berlin auf und ist dort in Privatbesitz. Ebenfalls ein Aquarell aus Zypern, das in einer Auktion angeboten wurde, ist in Privatbesitz.

Colberg kam Anfang November 1938 im Alter von 32 Jahren mit diesem Schiff wieder in Hamburg an. Dort erlebte er unmittelbar nach der Rückkehr die Reichspogromnacht am 9./10. Nov. 1938 und war zutiefst schockiert. Er musste sich wöchentlich bei der Gestapo melden und wurde auf die Werft Bloom & Voss in den Kriegsschiffsbau als technischer Zeichner zwangsverpflichtet.

In seinem alten Freundeskreis lernte er Anne Marie Heitmann, genannt Ayong, kennen. Sie lebten mit Freunden zusammen in einer Wohngemeinschaft im Zentrum Hamburgs, Große Bleichen, und heirateten 1939. Ihre Tochter Antje wurde 1940 geboren. In der neuen gemeinsamen Wohnung am Hopfenmarkt 34, ebenfalls im Zentrum Hamburgs, hatte er zum ersten Mal ein eigenes Atelier.

1943 wurde bei den Bombenangriffen auf Hamburg mit dieser Wohnung auch sein künstlerisches Werk vernichtet. Zwei kleinere frühe Ölbilder hatte seine Frau retten können. Eines davon, ein Stillleben von 1934, ist in Privatbesitz in Hamburg (siehe Abb.). Im Jahr 1943 noch zeichnete er, was strengstens verboten war, im zerstörten Hamburg (siehe Abb.).

Ein Ölbild (Stillleben mit grüner Kanne) von 1942, das offenbar zur Zeit der Bombardierungen nicht in der Wohnung war, wurde 2016 in einer Auktion in Jena angeboten und ist jetzt in Familienbesitz (siehe Abb.).

1944 wurde Colberg, der zunächst als „politisch unzuverlässig“ nicht zur Wehrmacht eingezogen worden war, zur Marine einberufen und zunächst auf dem Dänholm in Stralsund stationiert. Aus dieser Zeit sind einige Aquarelle erhalten.

Seine Einheit wurde noch 1944 nach Italien geschickt und er musste im Hafen von La Spezia ein Wachboot fahren. Auf seiner Reise hatte er Italienisch gelernt und es gelang ihm, mit Hilfe von Fischern und einem Priester 1944 zu den Partisanen in die Berge zu desertieren. Diese beauftragten ihn dann, die Schiffe der einrückenden Alliierten sicher in den Hafen von La Spezia zu geleiten, der als vermint galt. Auf diesem Wege kam er anschließend in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1945 nach Hamburg zurückkehrte.

Künstlerisch gab es unter schwierigen Bedingungen einen Neubeginn (siehe Abbildungen von 1946 bis 1986, ohne Angabe von Daten – sie fehlen oft unter seinen Bildern, da sie ihm unwichtig waren. Er wollte nicht „katalogisiert“ werden).

Willy Colberg und seine Frau Ayong wurden nach dem Krieg Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Er arbeitete als freier Grafiker für die Presse, verdiente damit den Lebensunterhalt. Daneben malte er ab 1947 in der kleinen Wohnung in Klein Flottbek, Quellental 8.

Ein Atelier hatte er nicht. Er wollte vor allem künstlerisch arbeiten, beschäftigte sich mit Öl- und Gouachemalerei, Holzschnitt, Radierung, sehr intensiv mit Aquarell und Zeichnung vor der Natur, später auch mit Mosaiken. Er trennte seine Brotarbeit bei Zeitungen von seiner künstlerischen Arbeit als Maler, war Mitglied des Berufsverbandes Bildender Künstler (BBK) und Gründungsmitglied des Kleinen Hamburger Künstlerringes, u.a. mit den Freunden und Malern Adolf Wriggers, Volker Heydorn, Albert Feser, Gaby und Eylert Spars. Landschaften, Portraits, Stillleben, oft der Hamburger Hafen waren seine Themen. Seine Vorbilder fand er bei den Malern der klassischen Moderne. In seiner Wohnung hingen Drucke von Bildern Max Beckmanns aus der Hamburger Kunsthalle, von Manet und Monet, von Ingres.

Beim Malen zweifelte er an jeder Bildfindung, viele hat er mehrmals übermalt. Manchmal dokumentieren Fotos frühere Zustände, meist aber weiß man nicht, was darunter ist. Er begründete das lakonisch mit Platzmangel. Es waren aber in erster Linie künstlerische Erwägungen, eine Komposition noch konzentrierter, klarer, einen Farbklang noch ausdrucksvoller zu gestalten.

In einem seiner wenigen Briefe schrieb er:

„Das Bild mit dem Cello habe ich so einigermaßen zusammen, nun sehe ich bereits, dass ich es verändern muss. Ansonsten male ich jetzt täglich große Bilder für den Film, französische Gobelins nach Watteau usw. in Maßen wie 20 Meter. Immerhin etwas Interessanteres, als Zimmer tapezieren oder Schilder schreiben…“

Er hatte eine Arbeit bei „Realfilm“ in Hamburg als Bühnenmaler gefunden.

„Die Maler dieser Generation erlebten den ersten Weltkrieg. In der Zeit danach lagen ihre künstlerischen Anfänge. Im 2. Weltkrieg wurden sie Soldat. Als Künstler wurden viele von ihnen, besonders ihre älteren Kollegen und Lehrer, von den Nationalsozialisten diffamiert und außer Landes getrieben. Mancher, der überlebte, geriet nach 1945, im kalten Krieg, in den beiden deutschen Staaten in neue Konflikte und Grabenkämpfe. Im Sog der Ideologien folgte die Polarisierung von einerseits gegenständlich arbeitenden Malern, vereinfachend als Realisten bezeichnet, und andererseits ungegenständlich malenden, den Abstrakten. Jeweils auf einer Seite wurde die eine Gruppe offiziell propagiert und gefördert bzw. die andere diffamiert und behindert…

Mancher von Ihnen wird sich an die bornierte Formalismus-Diskussion der 50er und 60er Jahre in der DDR erinnern. Für die Älteren, die für uns als Mittler so wichtig waren, wurde es dadurch schwer, an die – durch die Nazis abrupt abgebrochene – Kunstentwicklung vor 1933 anzuknüpfen. Auf westdeutscher Seite, wo Colberg lebte, wurde die abstrakte Kunst als freiheitliche und wahre Kunst angesehen und gefördert….“

(Aus der Eröffnungsrede des Malers F.-W. Fretwurst zur Ausstellung Willy Colberg, „Ahrenshooper Malgast“ im „Kunstkaten“ des Ortes, 2000).

Als die Künstler der „Verschollenen Generation“ bezeichnet Dr. Rainer Zimmermann die Maler und Bildhauer, die vor dem Krieg wenig Chance hatten, sich zu entwickeln und bekannt zu werden und nach dem Krieg wiederum in kunstpolitische Auseinandersetzungen gerieten.

Wohl treffender bezeichnet sie Dr. Gerhard Schneider, der in einem umfangreichen Katalog seiner bedeutenden Sammlung diese Künstler als die Vertreter der „Expressiven Gegenständlichkeit“ präsentiert. Sie seien existent und nicht „verschollen“. Es gäbe sie in beiden deutschen Staaten gleichermaßen, unabhängig von der jeweiligen Kunstpolitik. Willy Colberg ist in seiner Sammlung und in seinem Katalog „Entdeckte Moderne“ vertreten.

Colbergs Werk – seine guten, intensiven Bilder und Zeichnungen, die er hinterlassen hat – steht, wie bei so vielen seiner zeitgenössischen Malerkollegen, ohne das zerstörte oder verloren gegangene Frühwerk da.

Er wollte nicht auf eine Kunstrichtung festgelegt werden. Diese Haltung ist vor allem während des Malprozesses künstlerisch existentiell gewesen, um unabhängig zu sein, sich nicht blockieren, vereinnahmen zu lassen. Aber er würde es uns heute wohl erlauben, mit dem größeren Abstand, ihn in dieser Reihe zu sehen.

Willy Colberg hat sich 1953 mit dem Bild „Streikposten im Hamburger Hafen“ an der 3. Deutschen Kunstausstellung in Dresden beteiligt. 117 Künstler aus der Bundesrepublik waren mit 156 Arbeiten beteiligt. Es gab, lange vor und auch nach dem Bau der Mauer 1961, Kontakte zwischen dem Kulturbund Ost und West. Die westdeutsche linkspolitisch-künstlerische Gruppe „Tendenzen“ aus dem Stuttgarter Raum spielte dabei auch eine Rolle.

Ihre Vertreter befanden, dass Colberg „anstelle seiner zwar gut gemalten, aber ‚privaten‘ Bilder etwas ‚politisch Engagiertes‘ nach Dresden schicken sollte.“ Er sah das dann wohl selbst so und malte 1953 als vierwöchiger Gast des Verbandes Bildender Künstler in einer „Künstlerbrigade“ der DDR im Erzgebirge das Bild „Streikposten“. Das Thema basiert auf einem Streik der Hamburger Hafenarbeiter zu Beginn der 50er Jahre.

Außerdem bekam Colberg 1954 vom DDR-Künstlerverband den Auftrag, für das Geschichtsmuseum in Berlin ein Bild zum Thema „Thälmann und der Hamburger Aufstand 1923“ zu malen. Beide Bilder befinden sich heute im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Zur Vorbereitung darauf entstanden im eigenen Auftrag Zeichnungen, Radierungen und Aquatinten zu diesem Thema (siehe Abb.).

Damit hatte er sich nicht nur Freunde geschaffen, vor allem nicht in seiner Heimatstadt Hamburg. Vielfach wurde er hüben und drüben, mit unterschiedlichen Vorzeichen, auf seine politischen Arbeiten reduziert. Diesen Ausflug der Jahre 1953/54 in die Regionen des „Sozialistischen Realismus“ empfand er bald als Irrweg. Er hatte sich einer Herausforderung gestellt, sich dabei aber von seinen eigenen künstlerischen Maximen entfernt, denen er sich in der Folge wieder zuwandte.

In seinem Buch „Maler in Hamburg 1945 bis 1966“ schreibt der Hamburger Malerkollege und Freund Volker Detlev Heydorn:

“Man mag über die Qualität dieser Arbeiten und über die Umstände, unter denen sie entstanden sind, denken was man will; fest steht, dass der Versuch als solcher kunsthistorisch interessant ist, dass er die Situation der damaligen Zeit schlaglichthaft erhellt und sicher nicht ohne persönliche Kämpfe und Tragik unternommen ist.“

Colberg starb am 11. März 1986, politisch desillusioniert, künstlerisch von seinem Weg überzeugt, von Freunden seiner Kunst anerkannt, aber dennoch enttäuscht und zweifelnd, schwer krank in seiner Wohnung in Hamburg.

In seinem Nachruf von 1986 für Willy Colberg schreibt der Maler Matthias Brandes in der Kunsthaus-Zeitung Hamburg:

„Colberg bestand darauf, nicht in die üblichen Schubladen eingeordnet zu werden. Seine Überzeugung als Kommunist, geprägt durch Herkunft aus einer Arbeiterfamilie und eigene politische Erfahrungen mit der Geschichte, verleugnete er ebenso wenig, wie sein künstlerisches Credo an eine Malerei, in der erst die Identität von Form und Inhalt beiden ihre Daseinsberechtigung gibt. (…) Colberg zeigt nicht nur die Welt, wie sie ist, sondern wie sie auch sein könnte. Seine Farbe ist deshalb nicht deskriptiv, sondern sinnlich-stofflich. Aus der Spannung zwischen Flächigkeit und Volumen, Farbe und Kontur erschafft er autonome Bildräume, lyrisch gestimmt und voll verhaltener Melancholie.

Willy Colberg schuf in allen Gattungen und Techniken Arbeiten von hohem Niveau. Wer ihn näher kannte, schätzte seinen Scharfsinn und Witz. Hinter seiner Schlagfertigkeit und seiner rauen Schale entdeckte man eine außerordentliche Sensibilität.

Willy Colberg hasste die falschen Töne. Was seinen Tod besonders traurig macht, ist, dass, abgesehen von einigen wenigen Ausstellungen (…) wie seine letzte in der Galerie Rose im vergangenen Jahr (…) der Hamburger Kunstbetrieb einem Meister seines Könnens zu wenig Aufmerksamkeit gezollt hat. Willy Colberg lebte und arbeitete zuletzt (mit seiner Frau Ayong) in einer Einzimmerwohnung. Er stand zeitlebens quer zu den Verhältnissen, künstlerisch und politisch.

 Für uns Jüngere gibt es bei ihm noch eine Menge zu lernen.“

Willy Colberg, 1983 (Foto: Katharina Müller)

Willy Colberg, 1983 (Foto: Katharina Müller)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Text: Antje Fretwurst-Colberg

Fotos der Werke (gesamte Webseite): Friedrich-Wilhelm Fretwurst